Dies ist der zweite Artikel aus der Serie von Jakobs Canyoning-Roadtrip durch die Schweiz – Teil eins spielt im Sandbach
Als wir im Kiental eintrafen wurde es bereits dunkel, denn wir hatten zuvor noch einige Besorgungen erledigt und eine Fahrt über 70 km hinter uns gebracht. Der warme Wind versprach, dass unser Material trocknen konnte, doch das Gebrüll des nahen Griesbachs war nur wenig einladend. Vielleicht wäre dieser Bach besser bei noch kälteren Temperaturen und noch weniger Wasser (obwohl der letzte Regentropfen vor etwa drei Wochen fiel). Früh ins Bett, nach einem entspannten Abend mit Pasta und Glühwein.
Die morgendliche Inspektion des Canyons war ein Abturner: so viel Weißwasser sah nicht sehr einladend aus. Aber unser Ziel war ja nicht der Griesbach sondern der höher gelegene Zufluss Gamchi: auf 2200 Meter Höhe, manchmal nur 50cm breit und bis zu 200m tief eingeschnitten.
Unsere Führerliteratur schüchterte uns mit kurzen Zeitfenstern und hoher Ernsthaftigkeit ein, darüber hinaus hatten wir eine Schreckgeschichte von Andrejs Besuch hier im letzten Jahr gehört. Nichtsdestotrotz entschieden wir uns, es zu versuchen, allerdings blieb das einzige weibliche Mitglied unseres Teams an der Griesalp bei herrlicher Aussicht und wunderschönem Licht zurück.
Der Zustieg gestaltete sich einfach mit ein paar schönen Blicken in den unteren Canyonbereich, die nur durch seine steilen Wände behindert werden. Als sich nach einigen kilometern ein Plateau öffnete und eine brandneue Hütte in Sicht kam wussten wir, dass wir die Hälfte geschafft hatten.
Weiter oben entfaltete die Gletscherwelt ihre volle Pracht: riesige Seracs, Gletscherhöhlen und Geröllfelder, die seit tausenden von Jahren kleingerieben wurden – uns ließ das alles etwas unwohl zurück. Und der Einstieg in den Canyon war noch weniger einladend: nur wenige hundert Meter nach unserem Zustieg (an dem der Wasserfluss noch akzeptabel schien) begann es pötzlich aus allen Richtungen zu tropfen und zu fließen.
Es fühlt sich nicht gut an, sich in einer schmalen Kluft zu befinden während der Wasserdurchfluss sich verfielfacht und so nutzten zwei der fünf Teilnehmer unserer Gruppe die Chance auf einen Ausstieg noch vor der ersten Abseilstelle… Die Komfortzone zu verlassen tut gut, aber wenn dein Instinkt und dein Bauchgefühl dir sagen, dass du aufhören solltest (und du es noch kannst), dann tut das meist noch besser!
Die ersten paar hundert Meter im engen Teil sind einfach, danach schließt sich die Schlucht bis auf 30 cm Breite. Der Abstieg wird aber durch strategisch sinnvolle angebrachte Haken erleichtert. Noch später wird es technisch und sehr dunkel…
Der höchste Abseiler beginnt mit einer ausgesetzten Kletterei über 10 Meter an der Schluchtwand. Wir entschieden uns dort einen weiteren Haken zu setzen, da es uns sehr unschön vorkam, Seilgeländer und Abseilstand über nur einen Haken zu bedienen.
Von dort an herrscht Finsternis. Nach etwa 25 und dann noch einmal nach etwa 30 Metern Abseilstrecke gibt es eine ordentliche Vollwäsche im Wasserfall. In der Dunkelheit. Das Sichtfeld beschränkt sich auf etwa 30 cm. Aufrecht zu bleiben ist eine gute Idee, die Seile, die sich durch den Wind und den Wasserfall leicht verknoten straff und gerade zu halten ebenfalls.
Unten angekommen fühlt es sich an, wie ein nächtlicher Orkan: Wasser und Wind scheinen aus allen Richtungen zu kommen und der Windchill sorgt für ordentlich Kälte. Das Blitzlicht des Fotoapparates fotografiert nur noch Vorhänge aus Wasertropfen.
Nach wenigen Metern gewöhnten wir uns an die Dunkelheit, aber die Engstellen schüchterten uns noch immer ein. Interessanterweise gab es dafür nie Anlass, denn selbst die wildesten Pools stellten sich als harmlos, weil nur knietief heraus, lediglich einige Übergänge zwischen den Haken waren etwas schwierig und so erreichten wir nach etwa zwei Stunden absoluter Dunkelheit den vorletzten Abseiler. Andrejs Tipp waren nur zwei Worte: “Bleib rechts”.
Es war intensiv und eine kleine Dummheit machte meine Erfahrung negativ: Ich hatte mich auf einen kleinen Sattel gesetzt und als ich mich einhängen wollte, bemerkte ich, dass ich auf meinem Piranha saß. Beim Versuch, das Abseilgerät zu befreien ohne hinnuter zu fallen stieß ich mit dem Helm an die Wand – und war blind. Es dauerte ein paar angstvolle Sekunden, bevor ich realisierte, dass ich nur den Schalter der Stirnlampe wieder anstellen musste. Und ab ging es direkt in einen massiven Wasserstrahl, in dem nur die grell reflektierenden Wassertropfen einen Anhaltspunkt der Richtung gaben. Nach diesem 35 Meter Abseiler suchten wir Schutz hinter der nächsten Ecke: der letzte Abseiler und damit auch das Licht lagen jjetzt direkt vor uns.
Die Aussicht am Ende des letzten Abseilers war einfach spetakulär. Wir befanden uns mitten in einer großen Felskuppel von etwa 50 Metern Durchmesser. Darüber erhoben sich 150 m steile Klippen. Von der Seite zerstäubte ein starker, konzentrierter Wasserfall mit jedem Meter den er hinabfiel in kleinere Tröpfchen, die schließlich gänzlich vom kalten Wind aus dem Canyon davongetragen wurden. Sprachlos und erleichtert gingen wir die letzten zehn Minuten durchs Bachbett bevor wir superglücklich wieder in der warmen Ebene ankamen. “Gamchi, the amazing f**ker. This is why we do this.” war Sandis Fazit.
Nachdem wir den Rest des Teams wieder getroffen hatten packten wir unsere Sachen zuammen und machten uns auf den Weg ins Kandertal südlich des Fisistock, wo wir morgen unseren ersten südwärts gerichteten Canyon dieser Woche planten.